Ein kleiner Zwischenstand zum digitalen Unterrichten

Seit dem 16. März fühlt sich Schule „irgendwie anders“ an. Und ich meine damit absolut nicht „schlechter“, gleichzeitig aber auch nicht „besser“ – es hat sich das Wesen des Schulbetriebs in den paar Corona-Wochen sehr spürbar geändert. Heute – nach etwas mehr als vier Wochen Corona-Schulbetrieb – ist es an der Zeit für eine kleine Zusammenfassung, wie es denn bisher gelaufen ist.

Das ging schnell...



Der schnelle schulische Shutdown kam ja über ein Wochenende – in der einen Woche stand ich in meiner Funktion als Oberstufenberater noch mit der Schulleitung im Sekretariat, da wurde parallel in der Pressekonferenz aus dem Regierungspräsidium in Stuttgart bekannt gegeben, dass ab dem 17. März unter anderem alle Schulen im Land schließen sollten. Die Schulen der Stadt Aalen haben sich dann schnell darauf verständigt, das bereits auf den 16. März vorzuziehen, denn insgesamt mehrere Tausend Schüler durch den morgendlichen Nahverkehr zu schleusen – darunter auch wahre Hundertschaften in enggepackten Bussen und Zügen –, das wollte keiner mehr riskieren. Richtig so.

Das WebUntis-Desaster



Tja, und schon standen wir da und mussten wie so viele andere auch „aus dem Stand“ heraus 100 Prozent des Unterrichts von der analogen in die digitale Welt bringen. Der erste Versuch war WebUntis, unser digitaler Vertretungsplan, über den auch Mitteilungen zur Stunde, Hausaufgaben und Dateien zur Verfügung gestellt werden können. Die Bedienung ist nicht allzu schwer, doch schon die maximale Datenmenge (15 MB/Nutzer) war irrsinnig niedrig angesetzt. So hätte man nach jedem Schultag das Material wieder löschen müssen, um für die kommenden Tage genügend Speicherplatz zur Verfügung zu haben. Größere Dateien waren gleich ganz ausgeschlossen.

Darin lag aber nicht das größte Problem, denn das offenbarte sich erst nach ein bis zwei Tagen: Die Serverkapazitäten waren vollkommen „untermotorisiert“, soll heißen: Sobald im ganzen Bundesland die Schüler auf diese App bzw. das dazugehörige Web-Interface zugriffen, ging das ganze System in die Knie. Ich konnte z.B. tagelang nicht einmal auf die bereits eingestellten Dateien zugreifen (nicht einmal zum Löschen).

Also wich ich, da ich in der glücklichen Lage bin, einen eigenen Webspace zu besitzen, dahingehend aus, dass ich Sachen auf meiner Homepage in der Sparte „Schule“ einstellte. Aber das war natürlich nur eine Notlösung, die zum Glück auch nur wenige Tage benötigt wurde.

Moodle



Ein paar technisch besonders versierte Kollegen haben sich dann mehrere Tage intensiv mit der Moodle-Plattform auseinandergesetzt und sie für unsere Schule zugänglich gemacht, Anleitungen geschrieben (und auf Video aufgenommen), kurz: alles so vorbereitet, dass man selbst als Neuling schnell und unkompliziert einsteigen und alles nutzen konnte. Im schlimmsten Fall probierte man halt mal fünf Minuten herum und löschte dann den Murks wieder. Damit habe ich kein Problem, solange ich alles ans Laufen bekomme – und das hat hervorragend geklappt. Ein- oder zweimal in der Woche, wenn wahrscheinlich alle ca. 800 Schüler sowie die 60+ Kolleginnen und Kollegen mehr oder weniger zeitgleich auf das Moodle zugreifen, spürt man eine deutliche Verlangsamung, ansonsten läuft alles extrem stabil, es gibt kaum Limits für die einstellbaren Daten, die Kommunikation mit den Schülern ist möglich (gerade heute Mittag hatte ich einen Chat mit meinem Informatik-Kurs der siebten Klasse, um möglicherweise aufgekommene Fragen zu den Arbeitsaufträgen beantworten zu können) und wird rege genutzt.

Extra-Arbeit



Insgesamt investiere ich pro Woche im Moment gut 10-15 Stunden mehr an Zeit in die Vorbereitung, da ich mit wenigen Ausnahmen keine Arbeitsblätter ausgebe, die nicht an die Corona-Zeit angepasst wurden. Da man in pdf-Dateien gleich passende Links einfügen kann, die dann auch beim Anklicken funktionieren, verwende ich diese Option sehr häufig.

Gerade als Musiklehrer stehe ich vor dem Problem, im Moment ja nicht meine bevorzugten Hörbeispiele aus meiner eigenen Mediathek einsetzen zu können. Also suche ich oft ziemlich lange und aufwendig nach passenden Videos auf invidio.us, diese Links baue ich dann in die Arbeitsblätter ein, sodass man in einem Rutsch an einer Stelle durcharbeiten kann, ohne ständig zwischen pdf-Dokument, Moodle in der App oder im Browser, dem Hörbeispiel im Browser etc. hin und her wechseln zu müssen. Es gilt das Motto: „Je angenehmer das gestaltet ist, desto besser funktioniert es.“ Und bislang scheint es auch so zu klappen. Aber: Es kostet deutlich mehr Zeit.

Schwierig bleibt das Einführen neuer Themengebiete, da muss ich jedes Mal neu sehr erfinderisch werden, was ebenfalls Zeit kostet. Eine 11. Klasse (G9) sollte ein Stück mittelalterlicher Noten (eine einzige Zeile) in heutige Notation umschreiben. Dazu gab es auch Hilfestellungen, trotzdem – das war mir schon klar – war das Niveau gehoben. Nach einem oder zwei Tagen kam vom Klassensprecher eine ganz höfliche E-Mail, dass es doch sehr schwer sei, alle würden sich bemühen, es klappe aber nicht. Also noch eine Hilfestellung dazu basteln, das hat mir sogar Spaß gemacht (und ich kann sie vermutlich in den kommenden Jahren weiter benutzen), mit allem Drum und Dran sitzt man aber an so einer Datei locker wieder eine gute Stunde. Das spüre ich deutlich.

600-900 Emails pro Woche



Wo wir oben doch gerade bei der Kommunikation waren... Was natürlich jetzt auch passiert, ist ein dramatischer Anstieg der E-Mail-Kommunikation. Stelle ich Aufgaben, bekomme ich im Verlauf des Tages (und auch der folgenden Tage) von so ziemlich jedem Schüler eine Lösung zugeschickt. Das summiert sich auf eine recht erkleckliche Anzahl von E-Mails, insgesamt so ca. 600 bis 900 pro Woche. Das Datenvolumen ist beträchtlich, denn viele Schüler fotografieren ihre Lösungen und schicken mir dann bei Arbeitsblättern von jeder Seite ein Foto mit ca. 2-5 MB/Bild. Was bin ich froh, eine Internet-Flatrate zu haben...

Erwartungshaltung



Tja, und dann kommt da der aus meiner Sicht unangenehmste Aspekt: Die Erwartungshaltung einiger Eltern (korrekt müsste ich sagen: einiger weniger Eltern). Es erstaunt mich nicht, dass die meisten Eltern diese Lehrer-Perspektive nicht kennen und daher auch keine Grundlage zur Beurteilung unseres aktuellen Arbeitspensums haben, doch die Forderungen kommen oft sehr schnell und nicht immer in einem angemessenen Tonfall.

Aufgaben sollen am besten immer schon am Tag vorher hochgeladen sein, noch dazu ist immer das richtige Maß zu finden (es muss Spaß machen, soll lehrreich sein, darf aber auch nicht zu lange dauern – das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal...), nicht zu vergessen: „Wir haben Ihnen schon vor zehn Minuten eine E-Mail geschrieben. Warum haben Sie noch nicht darauf geantwortet?“ Bei so einem zwangsläufigen Kaltstart, wie wir ihn ja alle hinlegen mussten, war ich schon erstaunt, zum Teil schon im Verlauf der ersten Woche von einigen Kollegen zu erfahren, dass ihnen die Beschwerdemails nur so in den Posteingang flatterten.

Eine Nachbarin hat ihr Kind in einer meiner Klassen. Die hat mich dann auch einmal (sehr nett und höflich) gefragt, warum denn das Material nicht pünktlich da gewesen sei. Da war ich tatsächlich mit einem komplett neu zu erstellenden Material zu spät dran gewesen. Es ging um etwas, das ich sonst an der Tafel demonstriere, schön alle Fragen beantworte, noch ein oder zwei Beispiele durchprobiere, bei denen die Schüler zeigen können, ob sie das Prinzip verstanden haben – und dann erst ein Arbeitsblatt zur Vertiefung ausgebe. Der ganze erste Block, also der interaktive Teil, konnte jetzt nicht so wie sonst stattfinden, also musste ich das alles in ein komplett neues Blatt mit vielen Grafiken, farbigen Beschriftungen und für Fünftklässler tauglichen Formulierungen packen (die sollen das ja auch selbst hinbekommen und nicht ständig die Eltern belästigen müssen). Also saß ich da für eine Doppelstunde mit ganz neuem Material gute dreieinhalb Stunden. Bis ich alles hochgeladen hatte, wäre die Schulstunde schon vorbei gewesen. Tja, Schicksal.

Lockerung des Shutdown – das wird ein Mega-Chaos



Gestern und heute habe ich in der Schule schon einige Stunden damit zugebracht, Räume für die Oberstufenkurse herzurichten. Mit dem Zollstock bin ich mit einem Kollegen am Werk gewesen, um sicherzustellen, dass wirklich mindestens 1,5 Meter in jeder Richtung zwischen den Schülern bleiben. Und da sieht man schnell, wie eng die Klassenzimmer gebaut sind. Nimmt man die Abstandsregelung ernst, bedeutet das, dass Schüler in der Mitte des Raumes volle neun Quadratmeter Platz erhalten müssen: 1,5m nach vorne und noch einmal nach hinten, 1,5m nach links und rechts, also 3x3m. Da werden schon 16 Einzeltische in einem Klassenzimmer zu einer kaum mehr lösbaren Aufgabe.

Die von vielen Seiten geforderte Lockerung des Shutdown bedeutet zwangsläufig: Entweder Sicherheit oder normaler Schulunterricht. Mit den bei uns nicht allzu seltenen 30er-Klassen kann man nicht in ein normales Klassenzimmer gehen, ohne die meisten Sicherheitsabstände zu unterlaufen.

Jeder, der jetzt schon fordert, den Schulunterricht wieder anlaufen zu lassen, riskiert einfach nur die Gesundheit aller Schüler und Lehrer. Ich kenne persönlich kein einziges Schulgebäude, in dem genügend Platz wäre, um alle Klassen zeitgleich mit dem geforderten Sicherheitsabstand zu unterrichten.

Ganz zu schweigen vom Schulweg. Zwar heißt es so schön, dass die Schüler doch nach Möglichkeit mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen sollen. Das klappt aber bei Schulwegen von z.T. acht bis fünfzehn Kilometern nicht mehr. Und diese Schulbusse sind ja immer voll. Ein über den Vormittag verteilter Unterrichtseinstieg löst das Problem nur teilweise, denn nicht immer fahren passende Busse – und in der Schule sollen sich ja gerade keine Menschentrauben bitten. Wohin also mit den 30 Schülern, bei denen später kein passender Bus/Zug mehr führe?

Sollte tatsächlich schon bald eine Rückkehr in den normalen Schulbetrieb erfolgen, würde das zu einer riesigen neuen Infektionswelle führen. Bei der Enge in den Klassenzimmern, auf Gängen, Schultoiletten, in Bussen, Zügen und generell auf den Schulwegen ließe sich das schlicht nicht vermeiden.

Fazit



Insgesamt kann ich attestieren, dass wir uns als Schule in erstaunlich kurzer Zeit gut eingearbeitet haben, vor allem gemessen daran, dass wir „von Null auf Hundert“ agieren mussten. Ohne jetzt zu viel Eigenlob verteilen zu wollen, da dürfen wir uns schon auf die Schultern klopfen.

Mit der Moodle-Plattform bin ich sehr zufrieden, das klappt. Ich hoffe sogar, dass wir diesen digitalen Aspekt auch in Zukunft beibehalten werden, denn das kann ein erstaunlich effizienter Weg sein, den Unterricht parallel im Digitalen zu unterstützen.

Mein Zeitaufwand beim Vorbereiten ist enorm gestiegen, zumindest wenn ich es ernst meine und den Anspruch habe, nicht einfach nur das alte Zeug rauszuhauen und die Schüler daran verzweifeln zu lassen.

Heute habe ich einen schönen Artikel in der FAZ gelesen (hier), in der es darum ging, dass manche Eltern jetzt erst begreifen, welcher Aufgabe sich die meisten Lehrer so Tag für Tag stellen. Der Artikel „ging runter wie Öl“, hoffentlich lesen den noch manche der Eltern, die hier mit einer eher extremen Anspruchshaltung an uns herantreten. Das wäre schön.

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