Nicht zu stoppen

Auch wenn der Titel dieses Eintrags vielleicht ein wenig nach Laufen klingt, geht es heute ganz und gar nicht um meine sportlichen Aktivitäten. Vielmehr möchte ich von einem außerordentlich beeindruckenden Konzert-Erlebnis berichten: Am vergangenen Sonntag, 5. Juni 2022, waren meine Frau und ich in München, um die Rolling Stones im Olympiastadion zu sehen. Die Karten hatte ich schon vor ein paar Monaten gekauft, billig waren sie nicht – und dabei hatte ich nur die zweitbilligste Kategorie genommen.

Im Vorfeld des Konzerts hatte ich äußerst gemischte Gefühle, denn die Band-Mitglieder, so sie überhaupt noch leben, sind nicht mehr ganz „frisch“. Ronnie Wood, der Gitarrist, ist mit 75 Lebensjahren noch am jüngsten, Keith Richards und Mick Jagger sind beide um die 79. Das Risiko, einem Haufen Rollator-Schieber zuzusehen, die nur noch einmal ihre eigenen besten Zeiten wieder aufleben lassen wollen, war nicht ganz zu verachten. Von ein paar Bekannten hörte ich auch, dass die Band wohl nicht mehr so viel Energie wie früher auf die Bühne bringen soll. Das erzeugte doch einige Zweifel – andererseits wird die Anzahl der Möglichkeiten, die Band live zu sehen, schnell geringer. Das hielt mich bei der Stange.

Dann kam ein erster Bericht vom Auftaktkonzert der Europa-Tournee in Madrid, den ich bei heute.de gelesen habe (hier). Darin wurde das Konzert in den höchsten Tönen gelobt. Das ließ die Erwartungen natürlich sofort wieder steigen. Am Ende hielten sich Vorfreude und Sorge ungefähr die Waage.

Dann kam der Tag des Konzerts. Die Wettervorhersage war ziemlich düster, denn für München wurden Starkregen und Gewitter angekündigt. Am Vormittag waren wir von Aalen nach Eichstätt gefahren, wo die Schwiegereltern wohnen. Da es nicht ganz abzusehen war, wie gut die Heimfahrt mit dem Zug klappen würde, fuhren wir mit dem Auto nach Ingolstadt, von da aus mit dem 9€-Ticket nach München. Das klappte hervorragend, doch der Regen begann, kaum dass wir im Zug saßen. Und es schüttete und schüttete, die Welt außerhalb der Scheiben des Zugabteils wurde zu einer unscharf an uns vorbei fliegenden Landschaft. Auch bei unserer Ankunft in München goß es noch wie aus Kübeln. Zum Glück war das in der U-Bahn egal, doch als wir am Olympiazentrum aus den Katakomben aufgestiegen waren, blieben wir lieber noch einige Minuten im überdachten U-Bahnhof stehen – und mindestens 200 andere Leute taten es uns gleich.

Beim ersten Anzeichen für nachlassenden Regen machten wir uns auf den Weg zum Stadion, was sich als hervorragende Entscheidung erwies, denn der Regen war damit vorbei – und blieb es auch den restlichen Abend. Mit uns hatten sich noch hunderte – nein: tausende – anderer Konzertbesucher auf den Weg gemacht, sodass wir allein vor dem Einlass noch eine gute Stunde anstehen mussten. Die Security-Überprüfung war gründlich, Mütze, Jacke und Hose wurden abgetastet, dann durfte ich rein. Meine Frau musste sich abtasten und ihre Handtasche durchsuchen lassen. Doch das störte uns nicht, Sicherheit ist wichtig bei solchen Massenveranstaltungen.

Warten vor dem Einlass – zum Glück ohne Regen!

Ich war noch nie in diesem monströs großen Stadion gewesen, meine Frau ebensowenig. Also mussten wir erst einmal eine ganze Weile suchen, wo unsere Plätze waren. Nach zehn Minuten hatten wir sie entdeckt und uns dort niedergelassen: Seitlich der Bühne. So konnten wir zwar die Leinwände nicht gut sehen, die Band-Mitglieder waren aber gut auszumachen, vor allem, wenn sie sich auf die Stege nach vorne, rechts oder links begaben.

Volles Stadion – mega-gute Stimmung!

Das Publikum strömte nun pausenlos herein, das Stadion füllte sich zunehmend. Die Vorband, Reef, spielte schon – und sie „rockten das Haus“ ordentlich, doch das Publikum war ganz klar nur für die Stones gekommen, also fielen die Reaktionen in der Summe recht verhalten aus. Doch keiner der Musiker ließ sich davon aus dem Konzept bringen, die vollen 40 Minuten Spielzeit wurden gut gefüllt, ohne lange Sprechpausen. Respekt! (In der Zeitung konnte ich später lesen, dass der Gitarrist von Reef der Sohn von Ronnie Wood ist, das erklärt die Verbindung zur Hauptattraktion des Abends...)

Im Anschluss wurde gut 30 Minuten lang umgebaut, die Bühne wurde von vorne bis hinten geschrubbt (sehr faszinierend, das hatte ich in der Form noch nie gesehen), die Markierungen am Bühnenrand neu angebracht, damit auch ja keiner der Musiker über den Rand hinaus spazieren und in die Tiefe fallen würde. Dann erschienen zwei schwarze Vans seitlich der Bühne (von unserem Standort aus perfekt zu sehen), die Musiker stiegen aus – und zwei Minuten später fackelten die Rolling Stones ein unglaubliches Musik-Feuerwerk ab, das binnen Sekunden alle zuvor im Kopf gewälzten Bedenken wegfegte.

Die Band kommt, der Puls steigt...

Mehr als zwei Stunden lang fegte Frontmann Mick Jagger wie ein entfesselter Tornado über die Bühne, spielte mit dem Publikum, sang, gestikulierte, animierte, griff sich eine Gitarre und jammte mit der restlichen Band. Auch Ronnie Wood nutzte die drei Stege, um mitten in das Publikum hineinzuspazieren, hin und her zu rennen und den Kontakt zu den Fans offensichtlich zu genießen. Weder dem einen noch dem anderen war das Alter auch nur im Geringsten anzumerken.

Das letzte Tageslicht

Lediglich Keith Richards war hinsichtlich seiner Bewegungen auf der Bühne einigermaßen zurückhaltend – wer weiß, welche Substanzen er sich im Vorfeld reingepfiffen hatte. (Das schreibe ich nicht aus Gehässigkeit, ich habe vor ein paar Jahren seine Autobiographie gelesen, in der er von seinem andauernden und überbordenden Drogenkonsum berichtet.)

Insgesamt war es ein Abend voller Hits, nur die zwei Solo-Stücke von Keith Richards in der Mitte waren mir nicht bekannt – sie lockten auch die übrigen Fans nicht besonders, denn zu dem Zeitpunkt machten sich erstaunlich viele Zuhörer auf den Weg zum Getränkeverkauf oder zur Toilette. Die bekannten Hits – darunter „19th Nervous Breakdown“, „Living In A Ghost Town“, „Honky Tonk Women“, „You Can't Always Get What You Want“, „Paint It Black“, „Start Me Up“, „Sympathy For The Devil“, „Jumping Jack Flash“ und (natürlich) „(I Can't Get No) Satisfaction“ – sorgten ansonsten aber für exzellente Stimmung, sehr viel Mitsingen und Tanzen beim gesamten Publikum, der Abend flog nur so an uns vorbei. Und jede Sekunde war ein Genuss!

Mick Jagger auf dem Steg

Auf dem Rückweg hatten wir viel Glück, denn zwei U-Bahnen kamen genau rechtzeitig, um uns so zum Bahnhof zu bringen, dass wir im letzten Moment in den Zug nach Ingolstadt steigen konnten – sonst hätten wir noch eine ganze Stunde warten müssen. Das war schlicht perfekt.

Am nächsten Tag berichtete heute.de auch über dieses Konzert (hier) – und ich kann mich dem überaus positiven Bericht nur anschließen. Das Konzert war unglaublich gut, alle meine Bedenken wurden zerstreut, wir – und vermutlich viele tausend andere Fans – konnten den Abend in vollen Zügen genießen.

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